Wirtschaft
Online seit: 26.6.2019
Die Medienstrategie des HSV
Der Hamburger Sportverein versucht nicht nur, auf dem Platz Bälle ins Netz zu kriegen, sondern auch im Netz immer am Ball zu bleiben. Wie der Traditionsverein das schaffen will, erläutert Lars Reckwitz, Bereichsleiter Content- und Medienstrategie beim HSV, im Interview mit ThinkTank-PR Newsletter – und spricht dabei nicht nur über Verdienstmöglichkeiten und Erfolge im Web 2.0, sondern auch über Stolperfallen und Misserfolge.
ThinkTank-PR: Was sind die wichtigsten Ziele und Eckpunkte der Social-Media-Strategie des HSV?
Lars Reckwitz: Zunächst einmal: Wir haben keine gesonderte Social-Media-Strategie, sondern insgesamt eine Medienstrategie. Denn ich glaube nicht an Kategorien. Um heute die gleiche Anzahl von Leuten zu erreichen, wie es früher zum Beispiel mit der Sportschau möglich war, muss man heute viel mehr Kanäle gleichzeitig bespielen. Unser wichtigstes Ziel ist, alle zu erreichen, die sich für den HSV interessieren.
ThinkTank-PR: Sehen Sie nicht trotzdem Unterschiede zwischen den klassischen und den neuen Sozialen Medien?
Lars Reckwitz: Schon. In den herkömmlichen Einbahnstraßen-Medien kann ich behaupten, was ich will. Wenn das jemandem nicht gefällt, kommt dann vielleicht irgendwann ein Leserbrief in die Redaktion, der wird dann möglicherweise gelesen, oder auch nicht. Das geht in den Sozialen Medien nicht. Wenn ich etwas auf Facebook poste, bekomme ich direkt eine Rückmeldung, wenn etwas nicht stimmt oder von den Fans als nicht zum HSV passend angesehen wird. Es gibt viel mehr Interaktion mit den Zielgruppen. Das sehe ich aber als eine Stärke an. Diese Interaktion erfordert allerdings auch viel Aufwand, man muss sich intensiv damit auseinandersetzten. Aber das ist auch gut so.
Außerdem ermöglichen uns die Neuen Medien, unsere Inhalte selbst zu den Fans zu bringen, ohne eine Färbung durch Dritte hineinzubekommen. Wenn zum Beispiel ein Zeitungs-Redakteur, der selbst St.Pauli-Fan ist, eine Meldung von uns bearbeitet, kann sie hinterher schon mal ganz anders klingen, als sie von uns gemeint war.
Natürlich haben wir auch kommerzielle Interessen – wir wollen mit unseren Inhalten Gewinne machen, die zurzeit noch andere machen. Damit meine ich nicht die Spiele selbst, sondern den Blick hinter die Kulissen. Wir wollen unseren Fans Nähe und Emotionen bieten.
ThinkTank-PR: Wie wollen Sie den Gewinn realisieren?
Lars Reckwitz: Wenn wir alle unsere Inhalte im Web kostenpflichtig machen würden, wären wir mit dem Klammerbeutel gepudert. Denn zum einen sind die meisten Nutzer der Neuen Medien sehr jung, haben kaum Kaufkraft. Zum anderen geht es auch nicht nur darum, einfach den Inhalt direkt zu verkaufen. Es geht vielmehr um den alten Dreiklang aus dem BWL-Grundkurs: Aufmerksamkeit, Sympathie, Verwendung. Wir versuchen zunächst einmal, die Leute auf uns aufmerksam zu machen und für den HSV zu begeistern – denn schließlich wird niemand als HSV-Fan geboren. Aber wenn es uns gelingt, Leute für uns zu begeistern – dann kaufen sie auch Trikots und Eintrittskarten und kommen zu den Spielen.
Andererseits kostet die Erstellung der Inhalte natürlich auch Geld. Deswegen haben wir freie, werbefinanzierte und kostenpflichtige Inhalte, je nachdem, wie nah die Leute ran wollen. Und auch die kostenpflichtigen Inhalte werden sehr gut angenommen. Aber auch wir probieren einfach viel aus, schauen, was funktioniert. Darunter sind auch viele Sachen einfach verhallt – aber ich bereue nichts.
ThinkTank-PR: Was würden Sie anderen Sportvereinen beim Einsatz der Sozialen Medien raten?
Lars Reckwitz: Einerseits sollten sie bedenken: Wenn sie die Kanäle nicht selbst bespielen, macht es jemand anderes. Andererseits funktioniert das aber nur, wenn sie auch die Kultur dazu haben – sie müssen bereit sein, mit den Fans authentisch zu interagieren. Im Web 2.0 nicht authentisch zu sein, ist der größte Fehler – das fällt einem sofort auf die Füße. Wenn Sie nicht authentisch sind, sind Sie keine Marke, und der Fan wird Sie nicht lieb haben. In dieser Hinsicht heißt es ganz oder gar nicht…
ThinkTank-PR: Viele PR-Abteilungen in Unternehmen haben Probleme, ihre Vorstände von der Relevanz der Investition in Social Media zu überzeugen. Hatten Sie Schwierigkeiten, beim HSV intern ein angemessenes Budget für ihre Web 2.0 und HSV-TV Aktivitäten zu bekommen?
Lars Reckwitz: Zum Glück nicht, aber da sind wir auch in einer besonderen Position. Denn für uns sind Sponsoren außerordentlich wichtig – und die erwarten heutzutage, dass wir über diese Kanäle unsere Fans ansprechen, damit auch ihre Botschaften in der Zielgruppe ankommen. Dafür sind ihnen die neuen Medien oft wichtiger als die klassischen. Wann haben Sie zum Beispiel zuletzt einen TV-Spot von Adidas gesehen? Lange her.
Ein Vorteil ist auch, dass wir Sponsoren haben, die vom Fach sind und die uns nicht nur einfach finanziell, sondern auch technisch unterstützen, wie die Telekom. Insofern haben wir es leichter.
ThinkTank-PR: Was sehen Sie in Bezug auf das Web 2.0 als Ihren bisher größten Erfolg für den HSV an?
Lars Reckwitz: Für allein meinen größten Erfolg gar nichts, denn wir machen hier alles im Team. Für unseren größten Erfolg halte ich einen einfachen Tweet, zu dem man die Vorgeschichte kennen muss: Nach der 9:2 Niederlage gegen München haben wir ein Grillfest veranstaltet, um Fans und Mannschaft zusammenzubringen, damit die drüber reden können, was da eigentlich los war. Als wenig später dann München gegen Barcelona spielte, haben wir getwittert: „In Barcelona wird die Woche wohl auch angegrillt…“. Das gab eine riesige Resonanz. Ein Drittel unserer Follower haben auf diesen einen Tweet reagiert, es gab jede Menge Retweets und Antworten. Die Selbstironie kam gut an. Das ist das beste Beispiel, wie die Medienwelt heute funktioniert: Vernetzt – und man hat mit einfachen Mitteln eine riesige Reichweite.
ThinkTank-PR: Und was sehen Sie in Bezug auf das Web 2.0 als Ihren bisher größten Misserfolg für den HSV an?
Lars Reckwitz: Wir haben einem Spieler, der Sonntag Geburtstag hatte, erst am Montag über Facebook gratuliert. Tenor: "Herzlichen Glückwunsch nachträglich – jedes „like“ = „Gute Wünsche“. Die Zielgruppe fiel über uns her, dass wir für solche "Marketing Gags" wohl am Sonntag keine Zeit hätten und uns aber auch einen Dreck für die Geburtstage der Spieler interessieren würden… – so viel zum Thema ganz oder gar nicht.
Portrait Lars P. Reckwitz
Lars P. Reckwitz, Jahrgang 1969, berät Medien und Industrieunternehmen in Fragen digitaler Wertschöpfung und verantwortet beim Hamburger SV die Sponsoring- und Medienstrategie. Reckwitz hat in Münster und Duisburg Psychologie und Ökonomie studiert und arbeitete vor seiner Tätigkeit für den HSV u.a. bei der Bertelsmann Tochter Ufa Sports in der Sportrechte-Vermarktung.
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